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„Gestalten wir unsere Zukunft nicht selbst, tun es andere“

DI Franz Bauer-Kieslinger, Geschäftsführer von SSI Schäfer IT Solutions, im Interview: Der Gastgeber des ersten Digital Future Congress (DFC) der IT Community Styria (ITCS) über die Ziele des Events, den Wandel der IT-Branche und wer oder was über die Zukunft der Industrie entscheidet.

Herr Bauer-Kieslinger, Sie sind hier beim ersten Digital Future Congress der IT Community Styria als Geschäftsführer von SSI Schäfer IT Solutions der Gastgeber. Wie fühlen Sie sich, wie geht es Ihnen?
Für mich ist es natürlich eine große Ehre, dass dieser erste Kongress hier bei uns, bei SSI Schäfer stattfindet. Doch viel wichtiger als der Ort ist die Aufgabe dieses Events. Wir wollen die Bekanntheit dieser Initiative steigern und den Leuten zeigen, dass sich hier etwas tut – und das in positivem Sinne. Dabei geht es nicht nur um die Standortsicherung für Graz, sondern für die gesamte Steiermark. Ich bin überzeugt, dass sich in dieser Region ganz viel bewegen lässt. Vor allem dank der großen Industrie, die sich hier in den letzten drei Jahrzehnten angesiedelt hat. Als ich vor über 35 Jahren hierhergekommen bin, hat die Region noch ganz anders ausgesehen: Graz war damals noch ein wenig verschlafenes Städtchen. Neben den Universitäten hatten wir im Norden die Papierindustrie, im Süden die Steyr-Werke. Das war’s dann auch schon im Großen und Ganzen. Erst im Laufe der Zeit entwickelte sich ein Dienstleistungsunternehmen nach dem anderen.

Was ist das Ziel des Digital Future Congress?
Wir wollen IT und Software-Entwicklung sichtbarer machen. Tun wir das nicht, machen es andere. Wir brauchen ständige Weiterentwicklung – für alle. Sonst erleben wir einen Stillstand, der ebenfalls alle betrifft. Darum bemühen wir uns unter anderem um eine gemeinsame Basis für die Ausbildung von hoch qualifizierten Fachkräften und versuchen auch, Synergien zu nutzen. Junge Leute spielen sich ja gerne, wenn es darum geht, etwas besser zu machen. Sie wollen ganz einfach kreativ sein und Spitzenleistungen erbringen. Und das ist auch in der industriellen Software möglich.

Die ITCS versteht sich als Motor für die Beschäftigung von Software-Entwicklern?
Nicht nur von Software-Entwicklern. Die Branche befindet sich schon seit Längerem im Wandel. Programmierer ist nicht mehr der einzige Beruf, der angestrebt wird. Was aber nicht bedeutet, dass die Wirtschaft keine Programmierer mehr benötigt. Doch ich schätze, nur noch die Hälfte der benötigten IT-Fachkräfte sind Programmierer. Der Kunde kauft ja nicht „eine Software“, sondern das Gesamtpaket. Und das umfasst zahlreiche Dienstleistungen: angefangen von der Dokumentation über die Inbetriebnahme bis hin zu Trainings und der Ramp-up-Begleitung, um nur ein paar zu nennen.

Was raten Sie jungen Menschen, die sich für Software-Entwicklung interessieren?
Das kommt ganz auf den Typ an. Aber egal ob Hipster oder Nerds, unter den jungen Absolventen sind immer wieder äußerst kreative Leute. Ihnen müssen wir unbedingt genügend Spielraum geben. Nur so können Innovationen entstehen. Wenn jemand kommunikationsstark ist und über Prozesswissen verfügt, dann würde ich ihm eine Karriere als Kundenberater empfehlen. Jeder Kunde braucht jemanden, der seine Sprache spricht, sein Geschäft und seine Prozesse versteht. Noch dazu kann man in diesem Bereich sehr viel lernen, zum Beispiel über verschiedenste Business Cases. Auch das ist eine enorme Bereicherung.

Welche Rolle spielt Weiterbildung in der IT-Branche?
Eine ganz entscheidende, die Bereitschaft zur Weiterentwicklung ist unentbehrlich. Denn der Wandel in der Software ist enorm und der Produktlebenszyklus äußerst gering. Das gilt auch für Wissen und Fähigkeiten. Gelerntes ist zwei, drei, vielleicht fünf Jahre nützlich, länger nicht.

Offenheit für neue Berufsbilder, Nischen, Geschäftsmodelle, Anforderungen, Methoden zum Erwerb von Fähigkeiten – all das muss ein junger Absolvent heute mitbringen?
Ja, unbedingt. Die Jungen müssen das als Chance sehen. Diese Sicherheit, die es früher in der Industrie gegeben hat, gibt es heute nicht mehr. Mit 20 irgendwo einzusteigen und dort in Pension zu gehen, ist längst Vergangenheit. Das liegt daran, dass es diese Industrie vielleicht gar nicht mehr gibt – oder zumindest diese ganz spezielle Tätigkeit. Heute haben junge Leute oft ganz andere Erwartungen, die zum Beispiel so aussehen: „Ich entwickle eine eigene App und organisiere mir einen Risikokapitalträger. Dann verkaufe ich die App um Milliarden und werde in kürzester Zeit sehr reich.“ Klar, diese Einzelfälle gibt es, dennoch bleiben sie Ausnahmen.

Beobachten Sie diese Goldgräberstimmung auch im industriellen Bereich?
Sie ist in diesem Bereich natürlich nicht so stark ausgeprägt wie in anderen, in denen man transaktionsorientierte Software wie Google macht. Den Wandel in der industriellen Software prägt vielmehr die zunehmende gesellschaftliche Akzeptanz von Robotik. Das hängt in weiterer Folge eng mit Entwicklungen in der Sicherheitstechnik zusammen. Gesellschaftliche Akzeptanz bedeutet, ohne Angst in die Zukunft zu blicken, in der es immer mehr Roboter geben wird. Denn sie werden den Menschen nicht ihre Arbeit wegnehmen.

Die ITCS setzt sich also auch für diesen gesellschaftlichen Wandel ein, mit positiven Auswirkungen für Industrie, Forschung und Ausbildung.
Natürlich, das ist eine ihrer wichtigsten Aufgaben überhaupt. Wenn sie eine neue Entwicklung einleitet, dann muss sie diese auch begleiten und gestalten. Alles andere wäre verantwortungslos. Und das funktioniert nur gemeinsam, indem man ganz offen kommuniziert: mit anderen Unternehmen, sämtlichen Behörden, den Bildungseinrichtungen – und vor allem auch mit der Politik. Sie muss die nötigen Rahmenbedingungen schaffen, erst dadurch wird gesellschaftlicher Wandel möglich. Gerade deshalb brauchen wir Veranstaltungen wie diese, um darauf aufmerksam zu machen. Mit Industrie 4.0 gibt es bereits wieder eine neue Entwicklung. Dabei handelt es sich um keine Zukunftsvision – im Gegenteil: Wir sind mittendrin. Und die Zeit läuft. Gestalten wir unsere Zukunft nicht selbst, tun es andere. Wandern unsere jungen kreativen Leute ab, stirbt die Industrie hierzulande. Das kann nicht unser Ziel sein – nicht der Gesellschaft, nicht der Unternehmen und auch nicht der Politik.

DI Franz Bauer-Kieslinger, Geschäftsführer von SSI Schäfer
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