Weihnachten – Zeit für einen besinnlichen Rückblick, heuer mit unserem neuen Kollegen Basem, in der deutschen Übersetzung. Über seine ersten Eindrücke von Graz, über Unterschiede zwischen Syrien und Österreich – und über seine Tochter Sham, die Zuckerwatte über alles liebt.
2018 war ja für dich ein sehr herausforderndes Jahr, Basem. Wie ist es dir ergangen?
Ja, 2018 war eine Herausforderung, aber jetzt ist alles in Ordnung. Im März habe ich hier in Graz bei Axtesys zu arbeiten begonnen. Dank der großen Hilfe meiner Kollegen und Kolleginnen werde ich Schritt für Schritt mit allen Aufgaben und Prozessen vertraut. Ungefähr vor einem Monat ist meine Familie auch endlich hierhergekommen und jetzt kann ich sagen: Wir sind angekommen [lächelt].
Wie hat alles begonnen, wie kam es, dass du nun bei Axtesys gelandet bist?
Es war nötig, in meinem Berufsleben und auch in meinem Privatleben einen neuen Schritt zu unternehmen. Ich habe mich dazu entschlossen, den Schritt hierher in ein neues Leben zu wagen, ein Abenteuer. Das war natürlich nicht einfach, da alles neu war: das Umfeld, der Arbeitsplatz, alles. Als ich in Graz ankam, war es mein erster Tag jemals in Europa. Aber es hat sich wunderbar entwickelt, ich habe mich hier niederlassen dürfen. Auch bei der Arbeit habe ich mich Schritt für Schritt ohne große Probleme einfinden können. Es ist alles viel besser gelaufen als ich erwartet hatte, denn ich hatte mit großen Schwierigkeiten gerechnet.
Worüber hattest du dir im Vorfeld am meisten Sorgen gemacht, um welche Art von Schwierigkeiten ging es?
Ich hatte mit beruflichen Schwierigkeiten gerechnet, da ich keine Ahnung hatte, was mich erwarten würde. Und natürlich mit sprachlichen Schwierigkeiten, da ich kein Wort Deutsch konnte. Aber es hat sich herausgestellt, dass die Kommunikation hier in Englisch gut funktioniert. Aber natürlich muss ich Deutsch lernen und ich besuche bereits Deutschkurse, die von der Firma angeboten werden. Diese möchte ich auf jeden Fall fortsetzen, denn ich muss mich hier integrieren und ich möchte mich ja auch zugehöriger fühlen können.
Du kanntest Fadi [Nouh, Software-Entwickler von Axtesys, Anm. d. Red.] bereits?
Ja, wir kommen beide aus Aleppo, sind Studienkollegen gewesen. Auch meine Frau gehörte an der Uni zu unserer Gruppe, wir haben unseren Bachelor in Informatik alle zugleich abgeschlossen. Über Fadi bin ich auch hierhergekommen. Fadi war es, der Markus [Moser, Axtesys-GF, Anm. d. Red.] von mir erzählt hat, daraufhin habe ich meine Unterlagen geschickt und das Bewerbungsgespräch absolviert.
Arbeitet deine Frau auch als Entwicklerin?
Sie hat sich nach ihrem Informatik-Studium in Richtung Social-Media-Marketing entwickelt. Sie hat sich also vom Programmieren und Entwickeln ein wenig entfernt, ist aber immer noch in der Branche. Nun ist es unsere oberste Priorität, für unsere Tochter einen Kindergartenplatz zu finden, damit meine Frau einen Deutschkurs besuchen und einen Teilzeitjob annehmen kann.
Wie hat der Krieg in Syrien sich auf Euer Leben ausgewirkt?
Der Krieg hat unser Leben in den vergangenen Jahren sehr stark beeinflusst. Sogar noch zu dem Zeitpunkt, als wir schon in Saudi-Arabien waren. Es ist sehr schlimm mit anzusehen, was in der Heimatstadt passiert. So eine schöne Stadt und dann das – für nichts. Für mich persönlich hatte der Krieg auch insofern besondere Auswirkungen, da ich mich als Jahrgangsbester für einen staatlich finanzierten Studienplatz für einen Master und ein Doktorat außerhalb von Syrien qualifiziert hatte. Doch wegen des Krieges konnte ich das nicht umsetzen. Zuvor wäre ich nach Deutschland, England oder in die Vereinigten Staaten gegangen, doch durch den Krieg waren die Vereinbarungen der europäischen Länder mit Syrien nicht mehr aufrecht. Daher blieben nur mehr Studienplätze in China, im Iran oder in Russland übrig.
Bevor du nach Österreich kamst, hast du also in Saudi-Arabien gelebt?
Ja, ich wollte nicht nach China oder in den Iran, ich wollte eine bessere Ausbildung und strebte ein Studium in Europa oder in den USA an. Daher bin ich nach Saudi-Arabien gegangen, wo meine Eltern und Geschwister damals schon waren, um dort zu arbeiten. Meine Frau war zum damaligen Zeitpunkt schwanger und wir konnten daher einfach nicht mehr in Aleppo bleiben.
Wie waren deine allerersten Wochen in Graz, woran kannst du dich erinnern?
Es war März, es schneite und es war sehr kalt. Aber das fand ich schön, denn ich kam aus einer Gegend, wo es normalerweise richtig heiß ist. Wir hatten eine wunderbare Zeit mit Fadi, haben viel gemeinsam unternommen, sind auch gemeinsam zur Arbeit gegangen, haben gemeinsam gegessen. Diese ersten Wochen waren wirklich toll, wir hatten uns ja ungefähr vier Jahre lang nicht mehr gesehen.
Wo liegen für dich die größten Unterschiede zwischen Syrien und Österreich?
Natürlich gibt es Unterschiede, aber so krass sind sie eigentlich gar nicht. Mir fällt auf, dass hier in Österreich alles organisierter ist. Ansonsten – Graz ist natürlich sehr schön, liegt auch an einem Fluss wie Aleppo. Auch gibt es hier wie dort vier Jahreszeiten, das Klima ist also sehr ähnlich. Für mich ist die Sprache der größte Unterschied und die größte Herausforderung. Aber mit Englisch bin ich ja anfangs gut durchgekommen.
Wo fällt dir am meisten auf, dass die Dinge in Österreich organisierter sind? Bei der Arbeit? Auf der Straße?
Beim öffentlichen Verkehr zum Beispiel, denn hier gibt es Fahrpläne. Das gibt es in Syrien nicht. Auch kann man hier ein Ticket für alle Verkehrsmittel nutzen, auch das gibt es in Syrien nicht. In Syrien gibt es viele Transportunternehmen mit jeweils eigenen Tickets und eigenen Tarifen. Hier ist einfach alles besser organisiert, da ist man schon einen großen Schritt weiter.
Und wie sieht es mit der Arbeitskultur aus? Welche Unterschiede fallen dir auf?
Es gibt hier ein hohes Maß an Spezialisierung. Jeder hat seinen eigenen kleinen Bereich. In Syrien sind wir alle mehr oder weniger Full-Stack-Developer mit viel umfassenderen Aufgaben, wir machen praktisch alles: Backend, Frontend, möglicherweise sogar Requirements Engineering. Hier ist alles organisierter und jeder hat seine eigene spezielle Rolle. Auch merkt man, dass hier in Österreich die IT-Branche viel höher entwickelt ist, da steht Syrien erst am Anfang. Es gibt dort auch keine IT-Firmen mit langer Tradition.
Wie sieht es mit Hierarchien in syrischen IT-Unternehmen aus?
Syrische IT-Unternehmen sind auch weitgehend hierarchiefrei. Wohl auch deshalb, weil sie neu sind.
Du hast gesagt, dass deine Frau auch Informatikerin ist. Ist sie eine Ausnahme oder ist das ein häufig von Frauen gewählter Beruf?
In Syrien studieren viele Frauen Informatik, da Architektur oder Bauwesen nicht so geeignet für Frauen sind. In unserem Studiengang lag die Frauenquote sogar bei 60 Prozent.
Wie ging es deiner Familie, während du alleine in Österreich warst?
Als ich nach Österreich ging, ist meine Frau mit meiner Tochter zurück nach Syrien gegangen, zu ihrer Familie. Unsere Tochter hatte ihre Großeltern zuerst gar nicht gekannt. Dank der Unterstützung der Familie ist es meiner Frau aber gut gegangen. Und ich habe fast täglich mit meiner Tochter telefoniert.
Wie heißt deine Tochter, wie alt ist sie?
Sham ist nun fünf Jahre alt. Der Name Sham (شام) ist übrigens der alte arabische Name von Damaskus, der Hauptstadt Syriens.
Wie hat Sham reagiert, als sie hier in Österreich angekommen ist?
Sie hat zuerst Graz und Wien verwechselt, aber sie fand es gleich sehr schön hier. Vor allem, weil sie zu einer Zeit hier ankam, als es hier überall Zuckerwatte gab [lacht].
Hat sie schon realisiert, dass sie in absehbarer Zeit nicht nach Syrien zurückreisen wird?
Ja, das hat sie, aber das ist auch ganz in Ordnung für sie.
Wie wirst du heuer Weihnachten feiern?
Für mich hat Weihnachten keine besondere Tradition. Aber wir werden mit meiner Familie die Weihnachtsstimmung genießen, mitfeiern, fröhlich sein, Urlaub haben – und viel Zuckerwatte essen [lacht].