Ein digitaler Ausflug mit Dieter Zeiml (Leiter IT/SSI Schäfer) in die Welt der Intralogistik. Über intelligente Logarithmen und neuronale Netzwerke, die Herausforderungen der Mensch-Maschine-Interaktion und Usability als Erfolgsfaktor. Über selbstlernende Systeme, Wanderschuhe und nicht vom Himmel gefallene Handys. Und darüber, dass Technik trotz allem etwas Positives ist!
Dieter, was gibt es in der Intralogistik, in der Welt der Fördertechnik, Kommissionierautomaten und Regalbediengeräte aus deiner Sicht noch nicht, was muss noch erfunden werden?
Die Maschinen gibt es ja schon alle. Doch diese ganzen Systemkomponenten müssen integriert werden zu Systemlösungen. Jede Maschine hat eine andere Strategie, andere Möglichkeiten. Was da „next big thing“ sein könnte, ist eine gewisse Eigenintelligenz. Dass sich die Dinge selbst konfigurieren, selbst optimieren. Die Integration sorgt dafür, dass die Maschinen mit einem maximalen Nutzungsgrad, mit einer maximalen Effizienz genutzt werden. Und darin liegt eigentlich die Herausforderung.
Es geht um Industrie 4.0.
Ja, genau. Allerdings werden in unserem Intralogistik-Bereich Daten zur Systemoptimierung schon sehr lange genutzt. Deshalb heißt mein Vortrag beim Digital Future Congress auch „Industrie reloaded 4.0“. Das hat genau damit zu tun, dass die Intralogistik oder Automation schon lange Informationen zur Optimierung nutzt. Allerdings geht es nicht um die Informationsnutzung an sich, sondern um die intelligente Nutzung, um Entscheidungen zu treffen. Das macht den Wettbewerbsvorsprung aus. Es wurde schon relativ früh erkannt, dass nicht die Maschine kriegsentscheidend ist, sondern die Informationsnutzung. Da geht es jetzt darum, dass die Komplexität der Integration einen immer höheren Automations- und Intelligenzgrad erreicht. Also Siri [Anm. d. Red. die Spracherkennungssoftware von Apple] und Google Search, was man so aus dem Internet kennt, da stecken überall intelligente Algorithmen dahinter. Das ist auch bei diesen komplexen Aufgaben, Maschinen zu optimieren, die Zukunft.
Sind intelligente Algorithmen der alleinige Erfolgsfaktor?
Der zweite key to success ist sicher die Benutzbarkeit, also Usability, Design, Human-Machine-Interaction, da gibt es noch Rückstände. Es geht typischerweise um große Industriemaschinen, die von Ingenieuren bedient werden, mit ihnen interagieren müssen. Der Trend geht natürlich auch da zur Usability, zur Human-Machine-Interaction.
Also Usability als Brücke zwischen Mensch und Maschine, um Big Data sinnvoll zu nutzen.
Ganz richtig. Jony Ive, Apples Lead Designer ist nicht umsonst einer der Bestverdiener in der IT Branche weltweit. Eben genau deswegen weil in der Human-Machine-Interaction enormes Potenzial liegt. Wobei man für Big Data schon Maschinenintelligenz braucht, um die zu nutzen. Es gibt natürlich auch Ansätze, die menschliche Erfahrung ins Spiel bringen. Maschinen bauen kann inzwischen jeder Anbieter, IT hat auch jeder Anbieter – doch nun zählt, wer aus den Maschinen mittels IT das Maximum herausholen kann. Grundlage dafür sind die Daten, aber wesentlich ist die Auswertung.
Ich nehme an, in der Industrie ist der Kampf um die besten, kreativsten Köpfe ausgebrochen?
Ganz richtig. Jony Ive, Apples Lead Designer ist nicht umsonst einer der Bestverdiener in der IT Branche weltweit. Eben genau deswegen weil in der Human-Machine-Interaction enormes Potenzial liegt. Da geht es wirklich darum, wie ich als Benutzer mit dem System interagiere, wenn auf dem Förderband ein Behälter angefahren kommt; ob irgendwo Lichter angehen, ob etwas leuchtet. Da geht es nicht nur um die Visualisierung am Screen, sondern wirklich um die Handlungs¬ebene, um Interaktionskonzepte.
Mit der Optimierung kleinster Details lässt sich natürlich viel Zeit sparen in so einem riesigen Lager in der Größe mehrerer Fußballfelder…
Ja, natürlich. Aber noch mehr geht es darum, die Maschinen zugänglich zu machen. So wie es Steve Jobs für die iPhones gemacht hat. Natürlich hat es davor schon Smartphones gegeben, aber er hat es für die Massen zugänglich gemacht. Und wenn man das mit Industriemaschinen tut, werden sie für den breiten Arbeitsmarkt zugänglich und es sind nicht mehr Ingenieursleistungen nötig, um die Maschinen zu bedienen. Die Maschinenstandards sind inzwischen schon so hoch, dass immer spezialisierteres Personal gefordert ist, um die Maschinen zu bedienen. Wenn die Bedienung einfacher wird, sind mehr Menschen dazu in der Lage, die Maschinen zu bedienen. Das ist ganz klar der Trend. IPhone hat es wie gesagt vorgemacht – nicht, dass es davor keine Smartphones gegeben hätte, doch wenn ich die Usability steigere, kann ich für mehr Menschen einen Zugang zur Technologie und zu Maschinen schaffen.
Dadurch kann man mehr Kunden gewinnen und mehr Bedienpersonal rekrutieren, folglich auch billigere Arbeitskräfte einsetzen.
Man kann billigere Arbeitskräfte einsetzen oder mit denselben Arbeitskräften mehr Aktionen setzen, weil die einzelne Aktion nicht so lange dauert, nicht so kompliziert ist, nicht so störanfällig ist. Es geht gar nicht so sehr darum, billigere Arbeitskräfte einzusetzen. Wir automatisieren ja weltweit, auch in Billiglohnländern, wo die Lohnkosten für die Stückkosten gar nicht entscheidend sind. Da geht es einfach wirklich nur um Produktivität. Wenn die Maschinen einfacher zu bedienen sind, ist man produktiver, wenn ein Fehlerhandling intuitiv ist und ich mir zwei Stunden Rätseln erspare, dann kann ich wirklich viel Zeit sparen. Mehr Maschinenintelligenz ist wiederum bedeutsam, weil diese Wege, die die Ware im Lager zurücklegt, sehr komplex sind. Da geht es fast immer um Travelling-Salesman-Probleme, die für den versierten Mathematiker interessant sind [lacht], aber immer ein Problem sind. Der kürzeste Weg, Wegoptimierung, das sind komplexe Themen, wo Maschinen unterstützen können. Dazu kommt die zunehmende Bedeutung von E-Commerce, denken Sie nur an die vielen Menschen, die beispielsweise ihre Schuhe im Onlineshop bestellen. Sie auch?
Nein, noch nie [lacht]. Aber kürzlich musste ich für meinen Sohn ein Mathematik-Lösungsheft besorgen, denke mir, ich unterstütze den Buchhandel, komme hin, und das Ding war nicht da, und das zu Schulbeginn. Das hat mich schon sehr verwundert. [lacht]
Ich war letzte Woche beim größten Buchversand Deutschlands, der auch Österreich und die Schweiz bedient, es könnte sein, dass dieses Buch dort verlorengegangen ist. Es gab dort organisatorische Probleme und wir haben den Kunden unterstützt, weil es gerade Lieferschwierigkeiten nach Österreich gab. In solchen Fällen kommen Dinge zu spät oder nicht ordentlich an, oder sie sind beschädigt, weil sie verrutschen.
Als Kunde denkt man sich natürlich, das nächste Mal bestelle ich gleich online, dann erspare ich mir Weg und Zeit.
Natürlich… aber auch die Online-Händler beziehen die Ware von zentralen Warenlägern und Produktionsstätten. Das Problem, das sie derzeit mit der Anlage haben: Sie wurde konzipiert für das Kettengeschäft, doch mittlerweile entfallen 30 % auf B2C: Sie beliefern eben auch Amazon, und Amazon ist ja Third-Party-Logistik, die machen nur das Frontend, sind also nur Vertriebsplattform. Läger betreiben sie nur nebenbei – für Bücher gibt es also gar kein Amazon-Lager.
Und genau für dieses Geschäftsfeld E-Commerce gilt, dass Bewegungen viel schneller passieren. Wenn Amazon zum Beispiel eine Aktion für Playstations hat, liefern sie an dem Tag 100.000 Playstations aus und am nächsten Tag nur mehr 1000. Wenn es einen Black Friday gibt, will jeder seine Konsole 24 Stunden später haben. Das braucht alles logistische Planung, logistische Intelligenz, auf diese Kampagnen hin. Und das ist DIE Herausforderung. Wenn ein Online-Shop eine Kampagne plant, müssen die betreffenden Waren auch vorgeräumt und vorbereitet werden, denn wenn sie irgendwo ganz hinten stehen, funktionieren die Wege nicht mehr. Und diese Intelligenz, solche Trends zu verarbeiten und zu erkennen, zu managen, rechtzeitig umzulagern, vollautomatisch – dazu braucht es viel Intelligenz.
Neue Geschäftsfelder für Soziologen, die die Entwicklungen am Markt beobachten…
Natürlich. Das Vorschlagswesen von Google oder Amazon kommt ja nicht von ungefähr. Es handelt sich zwar um intelligente Algorithmen, doch im Grunde genommen geht es um nichts anderes, als das Kaufverhalten zu studieren. Aber das wird inzwischen von Maschinenintelligenz erledigt.
Es geht also vielleicht darum, welche Fernsehsendung gerade läuft, mit welcher Protagonistin, die gerade welche Schuhe anhat, weil dann viele plötzlich genau diese Schuhe haben wollen?
Ja, da gab es einen Wanderfilm, der war sensationell. Da ging es um eine Protagonistin, die Blasen bekommen hat und dann von der Firma Ersatzwanderschuhe bekam, weil das eben bei dieser Firma so ist: Wenn jemand unzufrieden ist, werden Ersatzschuhe zugeschickt. Intelligentestes Product Placement, und das sind DIE Schuhe aus DIESEM Film. Da wird nicht umsonst extrem viel investiert.
Das ehemalige IBM-Speech Lab in Wien war ja sehr stark als Vorreiter bei Spracherkennung und solchen intelligenten Dingen. Im Zusammenhang mit Siri gibt es relativ viel Knowhow auch in Österreich.
Der Zusammenhang zwischen Spracherkennung und intelligenten Algorithmen interessiert mich jetzt genauer…
Es gibt inzwischen schon die intelligenten Anrufbeantworter, die auf Antworten von Menschen reagieren können und entsprechend durchwählen. Spracherkennung ist aber auch für Mensch-Maschine-Interaktion wichtig, deswegen wird das auch für uns Intralogistiker immer interessanter: Wenn der Bediener nur sagen muss „ich bin fertig“ ist das einfacher, als wenn er auf einen Knopf drücken muss. Gleich wie die Spracherkennung gibt es auch die Bildmustererkennung, es gibt ja den Running Gag mit dem Erkennen von Katzen auf Bildern. Google durchsucht alle Bilder, auf denen Katzen abgebildet sind. Deshalb gibt es so viele Katzen-Memes auf Youtube und in anderen Kanälen. Das hat gar nicht so viel damit zu tun, dass Menschen Katzen mögen, sondern es ging um ein groß angelegtes Experiment von Google, so ähnlich wie damals die Experimente von IBM mit dem Schachcomputer. Google wollte herausfinden, wie es gelingen kann, Katzen zu erkennen. Dahinter stehen neuronale Netzwerke, hoch intelligent, genau so wie bei Siri. Das sind Dinge, die bei der Human-Machine-Interaktion immer wichtiger werden.
Es geht also um prototypische Merkmale von Botschaften, Objekten, Interaktionen…
Die intelligenten Algorithmen dahinter, meistens neuronale Netzwerke, lernen über jedes neue Muster selbständig. Das ist früher oder später natürlich auch für Industriemaschinen relevant.
Die Maschine lernt dazu, und wir Menschen? [lacht]
Wo das hinführt, darüber kann man philosophieren… [lacht]. Auf Arte gab es gestern eine interessante Diskussion darüber, wie lange es wohl dauern wird, bis Maschinen Probleme schneller lösen als Menschen. Und natürlich auch die damit verbundene ethische Frage. Wie wird dann die Maschine entscheiden – ist der Mensch notwendig oder nicht? Aber so weit sind wir glaube ich noch nicht.
Aber ich habe zum Beispiel gerade eine Doktorandin, die selbstlernende Lagerkonfigurationen zum Thema hat. Das ist also nicht mehr nur Zukunftsmusik.
Und es wird auch gerade Alexa eingeführt, ein Spracherkennungs-Tool von Amazon. So ein Lautsprecher im Endeffekt, nicht mehr, über den man Befehle erteilen kann: Licht aus, Licht an. Das Ding lässt sich auch in die Hauselektronik integrieren und unterhält sich mit einem, so wie Siri, und wird für die Haussteuerung mitverwendet.
George Orwell ist ja in gewisser Weise schon Wirklichkeit…
ganz genau….
… aber käme als nächstes, wenn Sie so einen Roman schreiben würden?
Tja, Kurzgeschichten habe ich ja schon geschrieben. Als Führungskraft braucht man das, sprachlicher Ausdruck, Kommunikation als elementare Werkzeuge, auch wenn es Führungskräfte oft nicht wahrhaben wollen.
Es erscheint so selbstverständlich, aber es ist wirklich schwierig, sich präzise auszudrücken…
Ja, es ist oft nicht ganz so einfach, klare Anweisungen zu geben, die wirklich eindeutig sind. Aber ein Zukunftsroman? Eigentlich bin ich ja Weltverbesserer, also würde ich nicht zu so einer pessimistischen Sicht tendieren, wo Technik alles überwacht. Ich tendiere eher zu IPhone-Romantik, also Technik als Unterstützer in allen Lebenslagen, als Mittel zur Vereinfachung, sagen wir arbeitserleichternd, alltagserleichternd.
Eine humanistische Utopie mit happy end, also.
Ich glaube schon, ich bin kein Technik-Pessimist. Manche vertreten ja die Ansicht, dass jede technische Neuerung zu noch mehr Problemen führt, aber diese Ansicht teile ich nicht. Auch wenn ich das IPhone jetzt schon mehrfach genannt habe: Ich mag Apple nicht, bin nicht unbedingt Steve Jobs-Fan, habe selbst nie ein IPhone gehabt. Aber ich habe mir die Präsentation trotzdem oft genug angesehen und beobachte trotzdem genau, wie es funktioniert: Und eines hat Apple verstanden: Nämlich wie man den Zugang zu Technik, zu IT, schafft. Und das hat für mich Vorbildcharakter. Davor haben nur Technik-affine Menschen Smartphones benutzt. Apple hat es geschafft, das Smartphone für alle nutzbar zu machen. Bei der ersten IPhone-Präsentation 2007 war im IPhone schon alles drin, was es jetzt kann: Ich kann zoomen, ich kann streichen, ich kann wischen. Ich habe selbst nur ein Windows-Phone, weil die Integration von Outlook besser ist, doch bei Windows gibt es nach wie vor Dinge, die nicht funktionieren.
Qualität liegt also darin, Komplexität zu reduzieren, der große Wert liegt in der Einfachheit?
Ja genau. Deshalb bin ich auch nicht wirklich Open Source Fan. Open Source trägt ungemein viel bei zur Digitalisierung. Die ganz großen Innovationen werden dann aber letztendlich doch von kommerziell orientierten Initiativen umgesetzt, weil dazu auch entsprechend viel Geld investiert werden muss. Mehrfach musste ich schon erklären, dass ins erste IPhone 150 Millionen Dollar, 1000 Mann, drei Jahre investiert wurden. Das IPhone ist also nicht vom Himmel gefallen. Die Menschen glauben nämlich immer, weil etwas einfach ist, sei nichts dahinter. Genau umgekehrt: Wenn es so einfach ist, ist immer viel dahinter!