Am 1. Digital Future Congress war mit Leopold Neuhold, Leiter des Instituts für Ethik und Gesellschaftslehre der Karl-Franzens-Universität Graz, auch der Vertreter einer Disziplin geladen, die auf den ersten Blick als Exot in der IT-Welt gelten mag. Der ehrwürdige Professor überraschte das technik-affine Publikum mit einem höchst amüsanten Vortrag, der alles andere war als eine staubtrockene Moralpredigt.
Vielmehr gelang es dem Ethikexperten mit einer geradezu in salvenartigem Tempo vorgebrachten Serie mehr oder weniger bekannter Witze und Anekdoten, das Publikum sofort gnädig zu stimmen. Damit machte er die Zuhörer für die äußerst ernsten Inhalte aufnahmebereit, die sich hinter scheinbar so technikfernen linguistischen Clownklamotten versteckten.
Wer sich mit der Biographie
von a.o. Univ.-Prof. Dr. Leopold Neuhold vertraut gemacht hat, den wundert gar
nichts: Wer Publikationen mit dem Namen „Ethik in Forschung und Technik“ oder
„Fußballl und mehr … Ethische Aspekte eines Massenphänomens“ geschrieben hat,
kann wohl kaum ein alltagsferner Dozent im elfenbeinernen Turm sein. So
präsentierte Neuhold sich zu Beginn seines Vortrags als Kämpfer wider die
Bewusstseinstrübung und räumte ein, dass der Ethik allzuoft der Status des
Verbieters eingeräumt wird: „Wenn du jung bist, verbietet es dir der Pfarrer,
wenn du alt bist, der Doktor“.
In Zeiten der Krise könne und solle die Ethik zu Optimismus anregen. Vor allem
aber dürfen die Mittel nicht zum Ziel werden und der Verstand müsse geschärft
werden, um eine Entscheidung zwischen den Mitteln und den Zielen
herbeizuführen. „Where
is the wisdom we have lost in knowledge? Where is the knowledge we have lost in
information? Where is the information we have lost in data?“ –
so rhetorisch brilliant formuliert wurde die Mahnung, Daten auch der richtigen
Interpretation zu unterziehen – mit dem süffisant-augenzwinkernden Nachsatz:
„Gottseidank weiß Google nicht alles.“ Die unantastabare Würde des Menschen
wurde unterstrichen mit dem Hinweis darauf, dass der Mensch trotz allem
technologischen Fortschritt ein Geheimnis bleibt und nicht auf Algorithmen
reduziert werden kann und darf. Eindringlich warnte Neuhold davor,
Handlungsketten nicht mehr zu hinterfragen und unhinterfragte Automatismen
entstehen zu lassen und sich dann nach dem Motto „Wir können alles – aber nix
dafür“ aus der Verantwortung zu stehlen. Er wandte sich gegen einen Missbrauch
von Ethik „als Verhübschung, die in die Marketingabteilung ausgelagert wird“
und präsentierte die Lehre vom moralischen Handeln als Leuchtturm wider die
Orientierungslosigkeit in der modernen Welt.
Wem noch der Spruch „ich bin fassungslos, schluchzt die Glühbirne“ in den Ohren
nachklingt, der leidet nicht an Bewusstseinstrübung, sondern war bei jenem
bemerkenswerten Vortrag anwesend, in dem Professor Neuhold uns die Ethik
eindrucksvoll und nachhaltig als Rahmen für unser alltägliches Handeln ans Herz
legte.
Im Anschluss an den fulminanten Ethik-Crashkurs für Nerds gelang es uns, noch ein paar ungeschminkte Interview-Antworten zu ergattern:
Herr Professor, wenn man als Laie an die Ethik denkt, denkt man wahrscheinlich hauptsächlich an die Philosophen der Antike oder an Immanuel Kant mit seinem kategorischen Imperativ. Gibt es in der Ethik auch moderne Strömungen, aktuelle Herausforderungen, oder wurde bereits „alles gedacht“, wenn man so sagen darf?
Ich glaube gerade in Bezug auf die alten Griechen und auf Kant gibt es Weiterentwicklungen, wenn man ihre Gedanken in Bezug zur heutigen Welt bringt. Ich glaube, wir müssen gerade diese Situationen im Zusammenhang mit der Digitalisierung erkennen. Wir gehen ja nach dem Prinzip „Sehen – Urteilen – Handeln“ vor. Zuerst die Analyse, dann die Urteilskriterien, die ohne weiteres aus der Tradition aufgenommen werden können und müssen, damit wir zum Handeln übergehen können. Und es gibt nicht DAS Handeln, sondern verschiedene Möglichkeiten, es geht also darum, diese in den richtigen Zusammenhang stellen zu können – das würde Ehtik bedeuten.
Das heißt, wir sind möglicherweise konfrontiert mit einer breiteren Palette an Handlungsmöglichkeiten und es gibt neue Situationen, auf die diese unveränderlichen Prinzipien umzulegen sind?
Genau. Und vielleicht auch noch das: Es gibt einerseits eine Ausweitung der Möglichkeiten, die Multioptionen, auf der anderen Seite gibt es durch die sogenannte technokratische Verengung auch noch eine entsprechende Einschränkung der Möglichkeiten. Beides ist meines Erachtens zu sehen. Auf der einen Seite brauchen wir Entscheidungskriterien, auf der anderen Seite brauchen wir Öffnung.
Könnten Sie vielleicht ein Beispiel für eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten durch die Technokratisierung nennen, bitte?
Zum Beispiel wenn wir in die Wirtschaft schauen und nach dem Grundsatz vorgehen „the business of business is business“, dann haben wir ein sehr eingeschränktes Denken auf rechnerische Formen der Wirtschaft, und da ist es meines Erachtens wichtig, auch etwas aufzuweiten.
Was haben Sie für sich persönlich aus dieser Veranstaltung mitgenommen?
Ich habe mitbekommen, dass es eine wahnsinnige Veränderung gibt und diese Dynamik meines Erachtens wahrgenommen werden muss, aber gelenkt werden soll. Und das ist hier wichtig.
Ich danke Ihnen sehr herzlich!