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Facebook ist das neue Beisl ums Eck

Martin Aichholzer ist Akademischer Medienfachmann. Er hat als Journalist, in einer Werbeagentur und in einer Markenberatung gearbeitet und bis 2011 einen PR- und Social Media Lehrgang in Wien geleitet. Seit 2007ist er als strategischer Markenentwickler (Der Markenregisseur) selbstständig. Daneben unterrichtet er u.a. Social Branding am BFI und ist Gastlektor auf der FH Campus02. Wir sprechen mit ihm über Online-Marketing und Spielregeln in den Sozialen Medien.

Markenentwicklung hat viel mit Unternehmenskommunikation zu tun: DĂĽrfen wir um ein Beispiel fĂĽr gelungene Unternehmenskommunikation aus deinem sicherlich reichen Fundus bitten?
Gerne. Ich darf als Markenregisseur z. B. einen Tierarzt unterstützen, der zehn Jahre lang als leitender Tierarzt in Klagenfurt angestellt war. Es zog ihn privat nach Graz und damit entstand auch der Wunsch, dort eine eigene Ordination zu eröffnen. Doch in Graz gab es eigentlich keinen Bedarf nach neuen Tierärzten. Es ging also darum, potenziellen Kunden zu erklären, warum sie nun zu ihm kommen sollten. Dabei muss man wissen, dass die Tierärztekammer bzw. der Ehrenkodex der Tierärzte vieles untersagt, was in anderen Bereichen als klassische Werbestrategie eingesetzt wird, zum Beispiel Rabattaktionen. Daher mussten wir stark auf Storytelling zurückgreifen, und unsere Botschaft war: „Der erste familienfreundliche Tierarzt – ein Tierarzt, der sich auch um das gesunde Zusammenleben zwischen Mensch und Tier in der Familie kümmert.“ Das galt es natürlich zu inszenieren, z.B. mit einem besonders kinderfreundlichen Warteraum, einem eigens entwickelten Brettspiel für Kinder und mit Kinder-Tier-Workshops. Bereits wenige Monate nach der Eröffnung der Praxis klopfte Servus TV an der Tür, wenig später der ORF. Auch wurde eine Kooperation zur Unfallprävention mit dem Verein „Große schützen Kleine“ geschlossen, dafür wurde dem Tierarzt sogar ein Preis verliehen, der Kindersicherheitspreis der Stadt Graz. Die Tierarztpraxis war mittlerweile in allen Medien präsent – von Ö1 bis zur Kronen Zeitung – und zählt nach nur drei Jahren zu den größten Tierarzt-Ordinationen im Großraum Graz.

In diesem Projekt wird also nicht mit Werbung gearbeitet, sondern nur mit PR?
Ja, und zwar sehr erfolgreich, zumal PR nicht nur Aufmerksamkeit erzeugt, sondern auch Vertrauen aufbaut. Das funktioniert bei diesem Projekt ganz wunderbar.

In einem unserer letzten Gespräche hast du den Dialog als „Königsdisziplin“ bezeichnet. Ist der Dialog heute wichtiger denn je zuvor?
In den letzten Jahren haben sich durch neue Technologien neue Möglichkeiten zum Dialog eröffnet. Was man früher höchstens im Verkaufsgespräch oder ev. bei Veranstaltungen erreichen konnte, ist heute mit Social Media möglich. Ganz gut erklärt sich Social Media mit der Stammtisch-Analogie. Facebook ist mit dem Beisl ums Eck stark vergleichbar, mit drei wesentlichen Unterschieden: Bei der Kommunikation sind unterschiedliche Zeitzonen zu beachten, was einmal gepostet wurde, schwebt für immer im Raum und der Kontakt ist rein virtuell. Ansonsten ist aber alles gleich wie im Beisl, dementsprechend lassen sich viele Reaktionen gut vorausahnen: Unterschiedliche Grüppchen sprechen miteinander, andere spielen, ein paar streiten, dazu gesellen sich ein paar Unterstützer auf beiden Seiten dazu, und dann wird’s richtig bunt.

Warum ist die Emotionalität in den sozialen Medien höher?
Ich denke, wir haben noch nicht fertig gelernt, mit der virtuellen Welt umzugehen. Es ist furchtbar einfach, in sozialen Medien etwas zu sagen. Man kommt immer zu Wort, wenn man möchte. Jeder, auch der Schüchternste. Am Stammtisch sind es hingegen eher die Extrovertieren, die Selbstbewussten, die das Wort für sich beanspruchen – und am Ende gewinnt der Stärkste. Da das menschliche Verhalten aber vor allem vom Unterbewusstsein gesteuert ist, und dieses der Evolution unterliegt, wird es wohl noch ein paar tausend Jahre dauern, bis wir mit der virtuellen Welt ähnlich souverän zurechtkommen wie mit der realen Welt.

Geht es bei der Polarisierung in den sozialen Medien auch um Hemmschwellen, um mangelnde soziale Kontrolle?
NatĂĽrlich. Zu Hause im Wohnzimmer kann man schneller mal an einer Diskussion teilnehmen. Dort fehlt auch die Hemmschwelle, da es keinen direkten Kontakt mit den Interaktionspartnern gibt.

Soziale Medien sind fĂĽr Unternehmen natĂĽrlich ein sehr spannendes Medium. Gibt es Spielregeln fĂĽr Unternehmenskommunikation in der Welt der sozialen Medien?
Zunächst muss man sich einmal der Besonderheiten virtueller Medien bewusst sein: Die Kommunikation über Zeitzonen hinweg und die Permanenz des einmal Gesagten bzw. Geschriebenen. Dann muss man sich als Unternehmer oder Unternehmerin auch klar sein, dass man gar nicht nicht teilnehmen kann. Man ist in den sozialen Medien immer präsent, ob man will oder nicht – und zwar in dem Moment, wo andere über einen sprechen. Da stellt sich nur die Frage: Will ich zuhören? Will ich mitreden? Und im Detail haben alle Sozialen Plattformen auch noch ihre eigenen Regeln, da müssen z.B. Bilder auf Instagram ganz anders aussehen als auf Facebook oder Pinterest.

Könnte es nicht in manchen Fällen klüger sein, Dinge unkommentiert stehen zu lassen?
Wenn es sich um eine bewusste Entscheidung handelt, um eine strategische Entscheidung, ja. Doch aus Angst oder Unwissenheit Augen und Ohren zu verschlieĂźen ist nicht strategisch.

Schlimm ist jedenfalls, wenn ĂĽber ein Unternehmen gar nicht gesprochen wird, oder?
Das ist eher schlimm, ja. Da sind wir auch schon bei der Markenentwicklung: Der Begriff „Unternehmen“ ist ja wieder so ein neumodisches Glumpert, ein Buzzword – evolutionsbiologisch betrachtet. Produkte und Unternehmen gibt es maximal seit ein paar 1000 Jahren, das Unterbewusstsein – das menschliche Entscheidungen trifft – funktioniert hingegen schon seit mehreren 100 000 Jahren gleich. Also müssen wir Unternehmen und Produkte in etwas uminterpretieren, das wir verstehen. Dabei hilft uns die Personifikation: Unternehmen sind für uns menschlich, verhalten sich wie ein Lebewesen. So können wir ein Unternehmen verstehen.

Was bringt es uns, ein Unternehmen als Lebewesen zu verstehen?
Aus dieser Perspektive funktioniert Storytelling und Markenentwicklung, dann kann jedes Unternehmen seine Geschichte erzählen. Wer etwas zu erzählen hat, über den wird auch gesprochen. Unternehmen müssen uns also emotional berühren, müssen uns dazu bringen, ihre Gesellschaft zu suchen. Daher hat die Marke so eine große Bedeutung. Wenn niemand über mich redet, dann berühre ich niemanden – bin jedem egal.

Egal, was erzählt wird, Hauptsache irgendetwas?
Nein, die Geschichte, die erzählt wird, muss schon lohnenswert für alle Interaktionspartner sein. Stellt sich ein Unternehmen durch eine Geschichte in ein schlechtes Licht, ist das natürlich schlecht für das Unternehmen. Man muss schon die richtigen Gefühle erzeugen – und genau um diese Gefühle geht es. Auch wenn wir es oft nicht glauben wollen: Wir sind emotionale und soziale Lebewesen, wir sind nicht rationale, logische Lebewesen. Es geht immer um die Emotion. Wir wollen Gefühle und wir wollen Teil einer Gruppe sein: Einer Familie, eines Unternehmens, eines Staats. Die Gruppengröße, bei der sich jemand wohl fühlt, kann zwar variieren, aber das Zugehörigkeitsgefühl ist uns wichtig.

Zugehörigkeit um jeden Preis?
Um Teil einer Gruppe zu sein, gehen wir auch Kompromisse ein. Beispielsweise sind viele Menschen gerne nackt. Um jedoch keine schrägen Blicke zu ernten oder gar mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten, sind wir üblicherweise nur im Badezimmer nackt unterwegs. [lacht]

Um Teil der Gruppe der Tesla-Fahrer zu sein, geben manche Menschen viel Geld aus. Andere wiederum verzichten bewusst auf Komfort und steigen auf den Drahtesel um, auch wenn sie sich den Tesla leisten könnten. Zu welcher Gruppe gehörst du?
Ich genieße es, stressfrei mit dem Rad oder dem Zug zu geschäftlichen Terminen fahren zu können, aber ich muss gestehen, Autos haben mich schon immer fasziniert – natürlich auch Tesla. In meiner Lieblingsvariante nutze ich oft das Fahrrad, für hektische Zeiten einen E-Roller und für Fahrten außerhalb der Städte so etwas wie einen Tesla. Aber das dauert noch!

Martin Aichholzer
Martin Aichholzer
Beruf: Journalist | strategischer Markenentwickler | Gastlektor auf der FH Campus02
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