Top
Alle BeitrÀge

Storytelling: „A guate G’schicht“ aus der Welt der Marken, bitte!

Ein PlĂ€uschchen mit Markenregisseur Martin Aichholzer: Über Storytelling, die unprĂ€ten­tiöse Kunst des Dialogs, seine Arbeit mit Marketing-DrehbĂŒchern und seine ganz persönliche Geschichte.

Martin, du bist Experte fĂŒr Storytelling. Was kann man sich unter diesem aktuellen Modebegriff aus der Marketingwelt eigentlich genau vorstellen?
Storytelling ist so ein lustiges Buzzword fĂŒr etwas, was es eigentlich schon seit vielen Jahren gibt, die Essenz, sozusagen, ist schon uralt. Storytelling ist also die Kunst, als Unternehmen spannende Geschichten zu erzĂ€hlen. „Gut“ in dem Sinne, dass der Zuhörer von der Geschichte profitiert, und das Unternehmen als ErzĂ€hler genauso. Das hat es schon immer gegeben.

Immer schon?
Ja, freilich, jedes journalistische Medium arbeitet seit jeher so. Nur wenn in einer Zeitung etwas steht, das die Menschen auch lesen wollen, verdient die Zeitung Geld. Mein Mentor aus der Zeit meiner journalistischen Gehversuche bei der Kleinen Zeitung hat immer gesagt „Schreib‘ a G’schicht!“ oder „du musst a G’schicht erzĂ€hlen!“. Meine erste Reaktion war: „WorĂŒber?“ Aber genau darum geht es eben auch – was ist eine Geschichte, die die Leser bzw. Zuhörer spannend finden könnten. Das galt damals fĂŒr die Zeitung und gilt heute genauso fĂŒr jedes Unternehmen.

In welchen Formen können solche Geschichten erzÀhlt werden, der Text ist sicher nicht die einzige Form?
Nein, da gibt es natĂŒrlich viel einfachere Methoden. Die Leselust der Menschen ist enden wollend – ja, leider. Aber das ist auch eine Entwicklung, die man zur Kenntnis nehmen muss. Es gibt viel schnellere und stĂ€rkere Medien als Texte. Das ist aber auch keine komplett neue Entwicklung. Auch im Journalismus ist das Bild am wichtigsten, dann kommt die Bildunterschrift, dann erst der Titel. Wenn die Leser den Vorspann eines Zeitungsartikels auch noch lesen, ist das schon viel wert. Da gibt es ja auch neurowissenschaftliche Untersuchungen dazu – was löst ein Text aus, was ein Bild. Im Bild steckt natĂŒrlich noch viel mehr Potenzial, auch Fehlerpotenzial. Doch noch effektiver ist das GesprĂ€ch im persönlichen Kontext.

Und das Medium Film?
Auch ein Film ist letztlich ein monologisches Medium. Es geht aber um den Dialog. Daher ist die Königsdisziplin das persönliche, direkte GesprÀch, von Mensch zu Mensch. Die besten Geschichten funktionieren durch Interaktion, die persönliche Betroffenheit hervorruft und EmotionalitÀt schafft.

Kann man Werbung oder Marketing in solche Geschichten verpacken?
Marktorientierten Unternehmen stehen viele Instrumente zur VerfĂŒgung, um mit Kunden in Kontakt zu treten, ihre WĂŒnsche zu ermitteln und ihre BedĂŒrfnisse zu erfĂŒllen. Das ist Marketing. Und dabei geht es zu wie in einem Orchester. Die Werbung ist die große Pauke. Bei manchen StĂŒcken brauche ich die Paukte unbedingt, aber bei vielen ist sie verzichtbar. Storytelling ist eigentlich das StĂŒck, das ich spiele – oder das Drehbuch. Das ist gelebte Philosophie und war daher bei der Markenentwicklung immer schon ein Grundwerkzeug.

Vielleicht ein Beispiel, wie du Kunden mit Storytelling zum Erfolg verhelfen kannst? Du hast sicher hunderte Beispiele in deinem „NĂ€hkĂ€stchen“.
Ja, richtig, was nehmen wir denn
 bei vielen Projekten bin ich ja zur Geheimhaltung verpflichtet
 vielleicht Solid Invest: Das Grazer Unternehmen aus dem Bereich Solarthermie war noch 2014 zu beinahe 100 % im Ausland tĂ€tig. Bei uns war das Unternehmen praktisch unbekannt. Durch die Turbulenzen im Bankensektor musste sich das Unternehmen nach alternativen Finanzierungsquellen umsehen. Also stellten wir eine Crowdfunding-Kampagne auf die Beine – streng genommen war es eigentlich „Crowdlending“. Um den potenziellen Kunden zu vermitteln, wer Solid ist und was daran interessant ist, starteten wir damit in der Weihnachtszeit, und zwar auf BauernmĂ€rkten. Wir standen neben den Bio-Tomaten, suchten den Dialog mit den Menschen und sprachen ĂŒber erneuerbare Energie. Viele erledigten mit einem „Das schenke ich meinen Enkelkindern!“ spontan ihren Weihnachtseinkauf bei uns. So konnten wir in kurzer Zeit 1,5 Millionen Euro lukrieren.

Du nennst dich „Markenregisseur“. Welche Geschichte steckt da dahinter?
Meine TĂ€tigkeit als Markenentwickler zu erklĂ€ren ist ja gar nicht so einfach. Im Laufe der Zeit fand ich heraus, dass das am besten mit der Metapher des Regisseurs funktioniert. Ich verstehe mich nĂ€mlich nicht als Werbeagentur, nicht als Texter, nicht als Grafiker. Oder, um in der Filmmetapher zu bleiben, ich bin auch nicht Beleuchter oder Kameramann. Ich bin derjenige mit dem Drehbuch, der alles zusammenhĂ€lt und alle Akteure so koordiniert, damit am Schluss etwas herauskommt, das das Publikum – die Kunden – begeistert.

Es hĂ€tte auch „Markendirigent“ heißen können?
Ich hatte auch darĂŒber nachgedacht, aber aus zwei GrĂŒnden fiel es mir leicht, mich fĂŒr den Marken­regisseur zu entscheiden: Ich kenne mich in der Fachwelt der Musik weit weniger gut aus als in der Film- und Theaterwelt. Der „Regisseur“ ist fĂŒr mich also viel authentischer. Außerdem schreibt ein Dirigent das MusikstĂŒck in der Regel nicht um. Ein Regisseur nimmt hingegen hĂ€ufig Einfluss auf das Drehbuch – bei mir ist es in meiner Arbeit genau so. Markenentwicklung lebt davon, dass man eine beeindruckende Markengeschichte hat, die perfekt inszeniert wird.

Metaphern bringen Botschaften in Ă€ußerst komprimierter und eingĂ€ngiger Form zum Ausdruck. Und doch können sie missverstanden werden?
Ja durchaus, Metaphern sind eine vereinfachte Darstellung, die nur selten zu 100 Prozent stimmt. Ein gewisses MissverstĂ€ndnis-Potential gibt es aber auch ohne Metaphern in jedem Dialog, und damit kommen wir wieder zurĂŒck zu einem weiteren wichtigen Aspekt des Storytelling: Die Geschichte, die man erzĂ€hlen möchte, muss so erzĂ€hlt werden, dass sie von den RezipientInnen auch verstanden wird. Hier gilt es kulturelle Unterschiede zu beachten und – noch viel komplizierter – individuell abgespeicherte Informationen der ZuhörerInnen, die sogenannte Exformation. Wenn ich Sie zum Beispiel frage, ob Sie „Zug-Liebhaberin“ sind, liegt es ganz bei Ihnen, ob Sie nun an eine Eisenbahn, an eine Schweizer Stadt, an ein offenes Fenster, eine Zigarette, eine militĂ€rische Formation oder an dutzende andere Dinge denken, die alle mit dem Begriff „Zug“ assoziiert werden können. Denken Sie an etwas Anderes als ich, habe ich in meiner Kommunikation einen Fehler begangen.

Eine ganz persönliche Geschichte zum Abschluss?
Das Haus meines Opas hatte eine ZwischentĂŒr, die fĂŒr die meisten Menschen einfach nur alt und schĂ€big war, mit einer gesprungenen Glasscheibe und abgeblĂ€ttertem Lack. Als ich die TĂŒr vor dem Abriss gerettet habe, verstand niemand, warum. Aber fĂŒr mich hatte sie immer eine ganz besondere Bedeutung, die man erst versteht, wenn man die Geschichte dazu kennt. Mein Opa hatte sie – ebenso wie das Haus – zur Zeit der beiden Weltkriege selbst gebaut, aus Materialien, die eben zur VerfĂŒgung standen. Wenn man genau hinsieht, merkt man, dass sie aus drei Holzarten gezimmert ist, dass die gesprungene Glasscheibe immer schon gesprungen war und dass man die TĂŒre falten kann, damit man in dem kleinen Haus auch bei geöffneter TĂŒr ums Eck kommen konnte. Erst wenn ich anderen Personen diese Details zeige und ihnen die Geschichte dahinter erzĂ€hle, verstehen sie die besondere Bedeutung – und manche hĂ€tten dann selbst gerne so StĂŒck in ihrem Haus.

Martin Aichholzer
Martin Aichholzer
Beruf: Markenregisseur
Schreiben Sie uns!

Pssst - uns können Sie alles fragen ;)

Pssst - uns können Sie alles fragen ;)

Haben Sie eine Frage? Eine Idee oder ein Thema, dass Ihnen unter den NÀgeln brennt? Möchten Sie uns Feedback geben?
Wir freuen uns ĂŒber Post von Ihnen!