Die Salzburger Künstlerin Tanja Traussnigg im Interview über haptische und digitale Kunstgenüsse und das ungleiche Paar Kunst und Technik. Über „Decke-über-den-Kopf-zieh-Tage“ und bewegende Moment im Atelier. Über den kreativen Flow mit Suchtpotenzial und die Offenheit für alles, was die (digitale) Zukunft bringt.
Liebe Frau Traussnigg, Ihre Kunstwerke dürfen wir hier am Herbstfest und in den kommenden Monaten in unseren Räumlichkeiten bewundern. Wie bereichert Kunst Ihr eigenes Leben?
Täglich, durch die Leidenschaft, die ich für das Bildnerische habe, das wurde mir in die Wiege gelegt. Ich bin gelernte Grafikdesignerin und habe auch eine kleine Werbeagentur, wo ich meine Leidenschaft täglich in einer digitalen Form ausleben kann. Ich genieße aber das Frei-Sein durch Kunst. Ich genieße es, wenn ich nicht bestimmten Regeln folgen muss, wie das so üblich ist, dass ich manchmal nicht funktionieren muss und nichts einer vorgegebenen Form erledigen muss. Die Kunst gibt mir Freiheit.
Also auf der einen Seite die Auftragsarbeiten in der Agentur, das Grafische in digitaler Form, und auf der anderen Seite die Malerei im Atelier, nach den eigenen Vorstellungen. Können Sie tagtäglich gleich bzw. so kreativ tätig sein?
Mein Mann sagt mir immer wieder: „Bitte, Schatz, nimm dir wenigstens einen Tag in der Woche fix vor, an dem du ins Atelier gehst und nicht in die Agentur. Nimm doch den Mittwoch.“ Und ich weiß, wenn ich am Mittwoch in der Früh aufstehe, ob das ein guter Ateliertag werden kann oder nicht. Da gehört die gewisse Grundstimmung, die richtige Tagesverfassung dazu.
Weil man seine ganze Energie, sein ganzes Sein einbringt, nehme ich an…
Genau. Aber ich denke, so geht es letztlich jedem. Es gibt Tage, an denen man einen riesigen Stapel an Akten oder Aufträgen im Büro abarbeiten kann und andere „Decke-über-den-Kopf-zieh-Tage“, wo anderes vernünftiger gewesen wäre. Und das trifft natürlich auf die Kunst genauso zu.
Existiert in der künstlerischen Arbeit auch der Punkt der Erschöpfung oder gibt die Tätigkeit mehr Energie als sie nimmt?
Das klingt jetzt vielleicht dramatisch, aber ja, absolut, es gibt diese Erschöpfungszustände, und zwar viel öfter als diese ganz großen bewegenden Momente, wo man sagt: „Jetzt ist es fertig!“
Diesen fertigen Zustand gibt es wahrscheinlich überhaupt schwer, oder?
Ganz schwer. Da muss ich mich auch selbst an der Nase nehmen, dass ich nicht wieder und wieder und wieder drangehe, weil immer noch etwas fehlt und immer noch etwas optimiert werden kann. Das ist wahrscheinlich auch mit jeder anderen Branche vergleichbar.
Könnten Sie sich vorstellen, dass es in Ihrem Leben jemals den Punkt geben wird, an dem Sie das Gefühl haben, „alles“ erschaffen zu haben?
Nein, niemals. Ich werde auch oft gefragt, warum ich denn nicht bei einem Stil bleibe oder einer bestimmten Farbe treu bleibe. Doch die Möglichkeiten sind einfach so unerschöpflich und genau das ist so wunderschön, einfach immer wieder selbst neue Grenzen auszutesten oder neue Materialien auszuprobieren. Vielleicht muss ich in das Alter erst kommen, wo ich dann vielleicht einem Stil treu bleibe. Das Kreativ-Sein ist für mich aktuell einfach allumfassender, da erscheint es völlig unmöglich, sich einzuschränken.
Wie geht es Ihnen, wenn Sie Kunstwerke ansehen, die Sie vor 10-20 Jahren geschaffen haben?
Zweifel sind natürlich allgegenwärtig. Van Gogh hat sich nicht umsonst ein Ohr abgeschnitten, er war auch einer, der immer unzufrieden war. An Tagen, an denen ich zweifle, und das sind sehr viele, habe ich den allerdings auch den Weg klar vor mir, wo ich angefangen habe, wie ich mich entwickelt habe und wo ich jetzt stehe. Das macht mich dann schon auch stolz, wenn ich Entwicklung erkenne und sehe, dass etwas weitergegangen ist. Ich hoffe, das bleibt noch lange so.
Die Zukunft ist wahrscheinlich in vielerlei Hinsicht spannend – was Ihre persönliche künstlerische Entwicklung angeht als auch die Entwicklung von Materialien und Techniken, digitale Kunst. Auch solche Dinge wie die NFC-Tags, mit denen wir dankenswerterweise Ihre Kunstwerke hier am Herbstfest versehen durften, und die wieder ganz neue Zwecke entfalten und Kunst auf eine andere Art zugänglich machen oder präsentieren?
Ja, das ist eine ganz tolle Möglichkeit, ich bin auch ganz begeistert davon. Man muss es eben immer erst einmal kennen lernen, sich damit vertraut machen, und ausloten, was es da nun gibt. Finde ich sehr spannend und möchte ich auch unbedingt weiter einbauen. Ich bin auch gespannt, wenn dann Zahlen kommen, wie oft die einzelnen Kunstwerke getagged wurden [d.h. mit dem Smartphone der beim Kunstwerk angebrachte NFC-Smarttag aufgerufen wurde]. Das ist für mich natürlich ein spannendes Feld, da ich noch wenig mit dieser Technologie zu tun hatte. Aber schön, wirklich spannend!
Schön auch, dass es dafür von Ihrer Seite die Akzeptanz gibt, denn ich finde es nicht selbstverständlich, dass hier jeder mit dem Handy vor Ihren Kunstwerken stehen darf, um Bewertungen abzugeben.
Absolut. Das ist für mich das Allerwichtigste, Offenheit und Akzeptanz. Ich setze ja auch von den Menschen voraus, dass akzeptiert wird, was man als Künstlerin schafft. Das ist ja auch nicht so einfach. Als ich die Bilder hier in den Büros aufgehängt habe, habe ich mir auch gedacht: Ich hoffe, dass die Mitarbeiter glücklich damit sind und dass meine Bilder sie nicht in ihrer Arbeitsfreude beeinträchtigen [lacht].
Ich bin überzeugt davon, die Motivation wird schlagartig steigen! [lacht]
Das wäre natürlich schön!
„In der Zeit der Digitalisierung zwischen Handy, Tablet und Co sehnen sich viele Menschen wieder danach, etwas mit ihren eigenen Händen zu schaffen“, habe ich auf Ihrer Website gelesen. Die gute alte Gartenarbeit – oder eben das Bildnerische?
Ja, ich merke das ganz oft, weil ich auch als Mentorin tätig bin und Menschen ein wenig auf die Spur helfe, die vielleicht schon ein wenig mit Kunst zu tun hatten. Auch biete ich Kurse oder Einzeleinheiten an, wo ich meine Techniken zeige und lehre. Da merke ich, dass es ganz großes Interesse dafür gibt, selbst etwas zu erschaffen. Es geht um das Spüren der Materialien. Die Computertastatur und das Tablet-Display sind da nicht so das große haptische Erlebnis. Wenn man die Bilder nicht nur im Kopf hat, sondern auch selbst Hand anlegen und sich verwirklichen kann, ist das etwas ganz anderes. Die Schüler, die ich habe, die versinken, vergessen Raum und Zeit. Es wird draußen finster und sie merken es gar nicht.
Der berühmte kreative Flow…
Genau. Das wirkt auch aufputschend, das ist so, als ob man zehn Tassen Kaffee getrunken hätte. Es kommt zwar der große Erschöpfungszustand danach, aber man merkt richtig, mit wie viel Liebe und Eifer die Menschen dabei sind und wie viel ihnen Kunst gibt.
Kann man Kunst lehren? Oder geht es darum, die Techniken, den Umgang mit Materialien zu zeigen und den Raum zu geben, in dem sich die Schüler entfalten können?
Genau, und es geht um den Zugang: Für mich ist es das Schönste, wenn ich die Angst vor der weißen Leinwand nehmen kann. Dazu braucht es ein paar erste Ansätze, man weist auf Möglichkeiten hin, und zeigt ein paar davon. Und wenn sie dann losstarten, die Angst überwunden haben und sich trauen, weil sie verstanden haben, dass sie nichts kaputt machen können, dann kommt der Flow. Und das hat Suchtpotenzial! [lacht] Das ist wirklich schön.
Dann danke ich sehr herzlich – insbesondere auch nochmal für Ihre Bereitschaft, die Smarttags an Ihren Kunstwerken anbringen zu lassen. Es ging ja nicht primär um die Bewertung der Kunstwerke, sondern darum aufzuzeigen, welche Möglichkeiten sich durch diese Technologie eröffnen – zum Beispiel Informationen zur Künstlerin oder zum Kunstwerk damit zu verknüpfen, die Gedanken der Künstlerin zum Kunstwerk offenzulegen, ein Video zum Entstehungsprozess des Werks zu zeigen, auf die Website der Künstlerin zu verlinken, die Echtheit des Kunstwerks bestätigen etc.
Das eine oder andere Video wäre ja noch geplant gewesen, mal sehen, was sich daraus noch entwickelt!
Tanja Traussnigg arbeitet als Malerin, Designerin und Mentorin am Wolfgangsee: http://www.tanjatraussnigg.art/