Wir unterhalten uns mit Elie Zita, Executive Vice President Customer Services bei SSI Schäfer, über flexible Mitarbeiter und flexible Hardware. Über Entlastung von Routinearbeiten, Industrie 4.0 und das Träumen von einer entspannten Zukunft, von der alle profitieren!
Lieber Herr Zita, wir freuen uns sehr, dass Sie bei unserem Herbstfest sind. Gleich vorweg: Wie ist die von uns entwickelte CMMS-App bei SSI „angekommen“?
Wir haben ja eigentlich schon eine Lösung gehabt, die allerdings nicht sehr bedienerfreundlich war. Es gab eine Abhängigkeit von einer bestimmten Hardware, die verwendet werden musste. Die ursprüngliche Idee von mir ist im Jahr 2012 entstanden. Damals entwickelten wir dieses Programm in Eigenregie mit unseren Entwicklern. Wir haben es damals ausgerollt und für die damalige Zeit war das auch ausreichend. Aber heute, nach sechs Jahren, sieht es anders aus – sechs Jahre sind in der digitalisierten Welt eine Ewigkeit. Die App ist damals schon gut angekommen und wurde auch von unseren Technikern verwendet, wir haben das Projekt aber nicht weiterbetrieben bzw. weiterentwickelt. Und irgendwann kommt in unserer kurzlebigen Digital-Zeit der Punkt, an dem die Hardware nicht mehr verfügbar oder nicht mehr upgradebar ist und die aktuellen Anforderungen nicht mehr zu 100 % abgedeckt werden können. Da haben wir natürlich eine große Entscheidung treffen müssen, denn das, was wir für die damalige Zeit gut gemacht hatten, konnten wir so nicht weiterbetreiben und benötigten daher etwas Innovatives. Axtesys war ja ein idealer Partner und hat uns angeboten, nicht nur das Vorhandene eins zu eins zu kopieren, sondern auch mit Innovationen und mit neuen Ideen, beginnend mit neuem Design und dem Workflow, alles bedienerfreundlich zu gestalten. Und natürlich sind auch die entsprechenden Corporate-Identity-Merkmale stark eingeflossen, die sogar schon im Mockup berücksichtigt wurden.
Im Großen und Ganzen haben wir jetzt eine Applikation, die auf Android- und iOS-Geräten funktioniert. Die Applikation ist auf Mobiltelefonen genauso lauffähig wie auf Tablets oder am Desktop-PC. Durch diesen Schritt sind wir nun von jeglicher Art Hardware unabhängig und zweitens haben wir mit dieser App bereits in der Designphase zusätzliche Funktionalitäten „reserviert“, die wir in Zukunft Paket für Paket umsetzen werden. So haben wir aus der Vergangenheit gelernt und bereits jetzt schon in die Zukunft gedacht, so dass wir die Pakete Schritt für Schritt abrufen können. Wir freuen uns, dass wir mit Axtesys einen Partner gefunden zu haben, der klein, kompakt und dynamisch ist, denn die Digitalisierung bringt auch die Notwendigkeit von Agilität mit sich. Wenn man hier nicht am Puls der Zeit ist, dann ist zwar alles, was definiert wurde wunderschön, aber wenn es nicht rasch genug umgesetzt werden kann, hat es keinen Mehrwert mehr.
Der Vorteil von Individualsoftware ist sicherlich, dass man damit der Konkurrenz eine Nasenlänge voraus sein und auf die eigenen Prozess-Strukturen ganz konkret Rücksicht nehmen kann?
Ja, denn bereits damals, in den Jahren 2011/2012, gab es ja bereits Lösungen am Markt. Diese waren jedoch von der Kostenstruktur her sehr kostspielig. Außerdem erwirbt man immer 100 %-Lösungen und verwendet dann aber in der Regel meistens nur 20 % – 30 % von deren Funktionalitäten. Das wollten wir nicht. Wir haben uns gefragt: Was benötigen unsere Techniker auf dem Shopfloor, um ihre Kerntätigkeit effizient und qualitativ zu verrichten? Gleichzeitig wollten wir die unliebsamen, aber unerlässlichen Tasks wie z.B. Dokumentation, die Part-of-the-Job darstellen, automatisieren. Uns ging es hierbei vorwiegend um die Haupttätigkeiten des täglichen Handelns, also um all jene Tätigkeiten, von denen unsere Techniker erwarten, dass sie diese ganz simpel, schnell und effizient ausüben können. Die Bedürfnisse der Techniker wurden an erste Stelle gesetzt. Als zweiten Punkt haben wir uns überlegt, was zusätzlich zur Erfüllung der Bedürfnisse der Techniker prozesstechnisch noch notwendig wäre, also die Quality Gates. Und die dritte Überlegung war: Wie können wir dem Kunden durch eine vollständige und transparente Dokumentation die notwendigen KPIs und Reports liefern, ohne zusätzlichen Aufwand zu betreiben? Und so ist das Ganze dann aus einer relativen simplen Idee heraus entstanden.
War die Mitarbeiter-Akzeptanz von Anfang an gegeben?
Am Anfang bestimmt nicht [lacht]. Die Mitarbeiter haben gesagt: „Schön, neu, ok – aber was wollt Ihr?“ Da wird kontrolliert, man ist jetzt gläsern: „Wann war ich auf welcher Location, bei welchem Asset, was habe ich getan, wie lange habe ich dafür gebraucht?“ Das waren anfänglich schon ernst zu nehmende Themen. Immerhin war es ein großer Vorteil für die Mitarbeiter, dass sie nicht anhand von Notizen, die sie auf „Schmierzettel“ notiert hatten, nachdokumentieren mussten. Oder nach Feierabend zurückdenken mussten, welche Ersatzteile sie verwendet hatten, welche sie zurückgegeben hatten und so weiter. Diese App hat den Mitarbeitern die Möglichkeit geboten, wo auch immer sie sich auf den Shopfloor befunden haben – sei es im Ersatzteillager, bei der Verrichtung von Präventiv- oder Korrektiv-Arbeiten, bei der Aufnahme oder Bestätigung von Maßtoleranzen, oder bei der Korrektur von Abweichungen – laufend zu protokollieren. So sind die Mitarbeiter mit der Zeit draufgekommen, manche schneller, andere weniger schnell, dass die App tatsächlich einen Mehrwert bietet, welcher auch für sie einen Vorteil darstellt.
Das entstresst, entlastet…
Genau. Somit war die Konzentration des Mitarbeiters auf sein Tagesgeschäft gerichtet, also darauf, das zu verrichten, was er gut kann – und zwar die Anlage zu reparieren, zu warten, zu inspizieren, anstatt den Großteil seiner Zeit damit zu verbringen, im Nachhinein Dokumentationen aufzubereiten, was davor noch einen wesentlichen Teil seiner Tätigkeit ausgemacht hat. Denn stellen Sie sich einmal vor, Sie beauftragen SSI, sagen wir mal für 10.000 Euro, um Ihre Anlage zu inspizieren. Sie zahlen eine erhebliche Summe und bekommen dann vielleicht mehrere Wochen später erst den Bericht. Natürlich können Sie sich noch dunkel daran erinnern, dass SSI-Mitarbeiter da waren, dass sie etwas getan haben, aber es bleibt die Frage: Was wurde wirklich getan? Und das wissen Sie momentan nicht. Fünf, sechs Wochen später, wenn Sie die Berichte bekommen, werden Sie den Konnex zwischen der Anwesenheit der Mitarbeiter und der verrichteten Arbeit nicht mehr ziehen können.
Mit der App werden jetzt fast alle Prozesse in der richtigen Reihenfolge automatisiert eingetaktet: Ich als Techniker bin fertig mit der Arbeit, und bevor ich die Kundenanlage verlasse, kann ich den Bericht direkt vom Kunden unterschreiben lassen, als Bestätigung, dass ich anwesend war. Ich kann jetzt schon einen Zwischenbericht übermitteln und kann dann in Ruhe, sollte es notwendig sein, kleine Optimierungen im Bericht vornehmen. Dies waren wie gesagt die Riesen-Vorteile dieser App, woraufhin die Mitarbeiter dann begonnen haben, Akzeptanz zu zeigen. Mittlerweile wird die Nutzung der App als Standard betrachtet.
Schön, Win-win für alle – für das Management, die Mitarbeiter und die Kunden!
Gewiss. Für das Management sowieso, weil wir die Möglichkeit haben, mit der App just in time zu bewerten, was, wie, wo stattgefunden hat. Wir haben auch die Riesen-Möglichkeit, Cross-Benchmarking laufen zu lassen. Wir können also anonymisiert Anlagen untereinander vergleichen, wie gut oder schlecht sie funktionieren. Wir können Assets von der gleichen Familie untereinander vergleichen – warum funktioniert zum Beispiel ein Regalbediengerät in der Anlage A besser als in der Anlage B? Oder warum funktioniert Asset Nummer 1 in der Anlage besser als Asset Nummer 2? Man hat hier mit diesen Big Data unendlich viele Möglichkeiten, Dinge zu interpretieren und man kommt schön langsam mit diesen Daten in die Lage, vorausschauend zu denken. Man kann dann dementsprechend intelligentere Abfragen und Algorithmen bauen und daraus resultierend lernen wir, wo wir vorausschauend eingreifen könnten, um einen Ausfall zu vermeiden. Das sind die Big Gains daraus für das Management und für unsere Kunden. Für mein Team und für mich ist das sehr spannend, da die präventive Wartung sowieso gemacht werden muss. Nach der präventiven Wartung hört die Arbeit der Mitarbeiter zwar auf, doch es beginnt für uns die spannende Arbeit: Wie können wir diese Daten interpretieren, vergleichen? Wie können wir Cross-Benchmarking betreiben, also wie erwähnt, Vergleiche von Anlagen, von Assets, von Teilen anstellen und daraus intelligente Antworten ableiten? Was können wir vorausschauend tun? Diese Antworten können auch in die Lagerhaltung einfließen, damit man besser aufgestellt ist, Ersatz- und Verschleißteile zu liefern. Die Digitalisierung hat ja riesige Potenziale. Ich habe das auch beim Talk angesprochen [SSI-Schäfer-Talk mit Elie Zita, Sven Göhring und Markus Moser bei der LogiMAT im März 2018, Anmerkung der Red.]: Industrie 4.0 ist ein Label, jeder redet davon, doch man sollte einmal ein bisschen tiefer graben: was steckt dahinter, welche Möglichkeiten bietet uns diese Industrierevolution 4.0? Das beginnt einmal mit der Entwicklung des Produktes, aber da hört es noch lange nicht auf. Es bringt viele Vorteile für den Customer Service. Denn ohne diese Daten wären solche intelligenten Algorithmen nicht denkbar und die Daten müssen ja irgendwo herkommen. Natürlich, wenn man sich jetzt ältere Anlagen ansieht, bei denen diese Technologie noch nicht vorhanden war, kann man trotzdem auch mit den vorhandenen Daten einiges interpretieren, da man ja den Vergleich mit der aktuellen Entwicklung hat und daraus Schlüsse ziehen kann.
Und wie wird die Zukunft in fünf Jahren aussehen, oder in zehn Jahren, wo führt das hin?
Wissen Sie, ich bin jetzt 51 Jahre alt. Ich kann mich erinnern, als ich 16 oder 17 Jahre alt war, habe ich zu meinem Bruder und zu einem guten Freund von mir gesagt: „Ich werde das noch erleben, dass man früher oder später mit der Uhr telefonieren kann.“ Da hat mich jeder ausgelacht! Und jetzt sind wir da: siehe die Apple Watch. Im Jahr 2007 ist das iPhone erstmals auf den Markt gekommen. Damals war Nokia Nummer 1 am Handy-Markt. Da sind viele Modelle herausgekommen, aber es ging rein um Telefonie. Man hat Telefon-Funktionen nützen und SMS versenden können. Das iPhone hat die gesamte Telefonie revolutioniert. Smartphones sind ja im Grunde kleine große Rechner und keine simplen Telefone mehr.
Das sind Alleskönner.
Genau. Wahrscheinlich kann man damit telefonieren auch, aber das ist nicht der Schwerpunkt. Es geht einfach darum, dass man die Informationen genau dann abrufen kann, wenn man sie benötigt. Ob das jetzt Programme oder Applikationen sind, die Sie erinnern, wie viel Sport Sie machen müssen oder wie viele Kalorien Sie verbrannt haben, was Sie essen sollten und was nicht – es sind einfach Alleskönner. Das hat keiner geglaubt. Und wenn Sie mich heute fragen, wo wir in fünf Jahren stehen werden, dann kann ich Ihnen sagen, dass die Entwicklungsschritte von 2007 bis heute, in den kommenden Jahren doppelt so schnell voranschreiten werden. Ob das jetzt Industrie 5.0 sein wird, weiß ich nicht, aber es werden auf alle Fälle viele Hardware-Lösungen sehr flexibel und biegsam sein, also faltbar. Ich denke, es wird sich viel um Sensoren oder Transponder drehen, die am menschlichen Körper angebracht werden, die Rede ist nicht von Implantaten. Aber ich kann mir vorstellen, dass es dann viele Work-Balance-Apps mit faltbarer Hardware geben wird, die die Vitalfunktionen und alle körperlichen Aktivitäten des Menschen dokumentiert. Und jetzt können Sie sich einmal vorstellen, wenn Sie diese Daten zur Verfügung haben, was Sie damit machen können: Verbesserung des Gesundheitswesens, Präventivmaßnahmen ja sogar in Richtung „predective medicine“ – zum Beispiel: Die Hüfte ist in drei Jahren kaputt, wenn die Fehlstellung weiterhin unbehandelt bleibt. Oder man bekommt schön langsam mit, dass die Sehkraft nachlässt, dass der Herzschlag beschleunigt ist, weil ich nervös oder überlastet bin – immense Möglichkeiten tun sich auf. Und jetzt sprechen wir nur von Apps auf Smartphones.
Stellen Sie sich vor, wenn das 5G-Netz kommt, das autonome Fahren, was das bedeutet. Die Software wird gut funktionieren, aber die Gefahr ist, was macht der „Gegner“, der jetzt nicht autonom fährt? Wann wird manuell eingegriffen, wie steuert man das Ganze? Die Möglichkeiten, die wir jetzt haben, heute in fünf Jahren, heute in zehn Jahren, sind wahrscheinlich so groß, so unbeschreiblich groß, dass die Entwicklung der Technologie in den nächsten Jahren ungefähr gleich schnell sein wird wie in den vergangenen hundert Jahren. Und das ist einerseits sehr spannend, andererseits ein bisschen bedenklich, denn man muss sich immer die Balance vor Auge halten: Wann werden künstliche Intelligenzen ihre Grenzen erreicht haben? Wo werden ethische Grenzen zwischen Mensch und Maschine gesetzt?
Für einen Techniker ist es natürlich im Großen und Ganzen ein sehr spannendes Feld. Und ich sehe jetzt schon gerne dieser Entwicklung entgegen. Und ich glaube, wenn man auch entsprechend offen ist und diese Systeme und Möglichkeiten nicht missbraucht, so bringt das doch eine sehr große Entlastung für die Menschheit. Dann haben die Menschen mehr Möglichkeiten, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Ich glaube, dass es in Hochlohnländern auch möglich sein wird, dass entsprechende Innovationen geschaffen werden, so dass mit vier oder fünf Stunden Arbeit/Tag noch ein genussvolles Leben möglich sein wird. Ich will nicht sagen ein luxuriöses Leben, sondern eines, das sich ein Mittelständler auch leisten kann. Routine- und Fließbandarbeiten übernehmen jetzt schon Maschinen – von Robotern in menschlicher Gestalt mit künstlicher Front will ich noch nicht reden. In vielen Produktionen übernehmen z.B. Schweiß- und Bestückungsroboter bereits viele Routinetätigkeiten. Dieser Trend wird sich noch stärker und schneller fortsetzen und wird weitere Entlastungen für die Menschen bringen. Ja, und dann wird es funktionieren!
Dann wünschen wir uns, dass es bald eine umfassende App für den Menschen gibt, die uns rundum präventiv unterstützt, entlastet und eine bessere Welt schafft…
Ja, warum nicht!