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„In meiner Generation hat es noch sowas wie Privatsphäre gegeben“

Digitales Philosophieren mit Mansuet Gaisbauer: Über digitale Geschäftsmodelle, kollaborative Software-Entwicklung und analoge Teamkommunikation. Über den Zweifel an der Haltbarkeit digitaler Erinnerungen und sein digitales Wunsch-Produkt.

Lieber Herr Gaisbauer, welche Entwicklungen, also Spezialisierungen, inhaltliche Schwerpunkte und dergleichen hat es in den letzten Jahren in Unternehmen gegeben? Wie ist der Ausblick auf die nächsten Jahre, strategisch, auf die Produkte, auf die Dienstleistungen, auf die Angebotspalette?
Die aktuell laufende Digitalisierung vieler Lebensbereiche hat in vielen Unternehmen eine Veränderung der Produktstrategie mit sich gebracht. In den letzten Jahren wurde klar, dass durch die zunehmende Digitalisierung eine viel größere Vielfalt an Services, Dienstleistungen und Produkten digital verfügbar wird. Allerdings fehlt es für die Anbieter dieser Dienstleistungen und Produkte beispielsweise an Möglichkeiten, diese Produkte in geeigneter Form kombinierbar und wirtschaftlich greifbar zu machen, und damit sauber zu bepreisen und abzurechnen.

Es entstand ganz klar der Bedarf nach Systemen, die den Service-Anbietern helfen, ihre digitalen Angebote wirtschaftlich umzusetzen zu können. Durch die Unterschiedlichkeit der Angebote brauchen solche Systeme jedoch ein hohes Maß an Flexibilität, Anpassbarkeit und Skalierbarkeit. Diese Anforderungen hatte unmittelbar Einfluss auf die Gestaltung so mancher Produktstrategie.

In meiner unmittelbaren täglichen Arbeitssituation hat die Digitalisierung bisher nicht viel Veränderung gebracht, da Softwareentwicklungsunternehmen schon immer mit digitalen Medien und Werkzeugen arbeiten, d.h. die Digitalisierung schon immer Teil unserer Arbeitsumgebung war und ist.

Interessant ist für mich jedoch, dass vor allem mit der Einführung von agilen Methoden wieder eine Abkehr von der der volldigitalen Arbeitsweise erfolgt. In den letzten Jahren haben sich eher Strukturen entwickelt, die von der Digitalisierung wegführen. Das lässt die direkte Kommunikation zwischen den Mitarbeiten, unterstützt durch analoge Medien wie Post-Its, Korkwände und Flipcharts, in den Vordergrund treten. Ich erkläre mir das dadurch, dass Software durch die Zusammenarbeit von Menschen in einem Team entsteht und sich in der direkten Kommunikation aktuell verfügbare digitale Systeme eher als hinderlich bzw. zu umständlich erwiesen haben.

Das heißt es wird nun wieder stärker auf persönlichen Kontakt gesetzt?
Genau. Die Art, wie Entwickler zusammenarbeiten, die Strukturierung von Teams, das Einführen von Kommunikationsräumen, das transparente Kommunizieren von dem, woran man gerade arbeitet, wo man Hilfe braucht, das klare Aufzeigen von Schwierigkeiten, um damit auch Hilfe aktiv einzufordern, und die Transparenz, die sich dadurch ergibt, in die Projektplanung einfließen zu lassen – alles das sind kommunikative Prozesse, die man, und das ist wohl mittlerweile Industriestandard, sehr stark eher über analoge Medien erledigt. Das heißt, klassisches Canvas-Boards und große Mengen an Post-its sind die Hilfsmittel, die verwendet werden. In diesen Bereichen wird die Digitalisierung sogar ganz aktiv von uns zurückgedrängt.

Nachdem Sie für die Produktentwicklung verantwortlich sind: Ihr Traumprodukt, Ihr Gadget, Ihre App, die noch entwickelt gehört? Ein Produkt, das Sie sich wünschen würden, vielleicht aus einer privaten Motivation heraus, so ganz utopisch, kreativ?
Gar nicht utopisch-kreativ. Vielleicht sogar schon ansatzweise gelöst, aber nicht in der Form, wie ich es gerne hätte. Ich bin ein Mensch, der mit der Hand schreiben muss, um sich etwas zu merken. Obwohl ich durchaus den Laptop für Notizen nutze, ziehe ich handschriftliche Notizen vor, da mich das weniger beim Verstehen ablenkt.

Es gibt verschiedenste Gadgets, die handschriftliche Notizen unterstützen. Jedoch etwas, das wirklich wie ein Zettel funktioniert, die gleiche Flexibilität hat, und mir dann aber die Möglichkeit eröffnet, das Ergebnis durchsuchbar und nachträglich auch bearbeitbar zu machen, das gibt es nur ansatzweise. Die verfügbaren Geräte liefern aktuell noch nicht die Qualität, um mich zu überzeugen, dafür meine Füllfeder zur Seite legen. Das ist für mich etwas, das einfach noch nicht funktioniert.

Bei den bestehenden Produkten fühlt man sich eingeschränkt und sie haben keine griffige Oberfläche …
Genau, in diesem Bereich geht es um analoge Eigenschaften, nämlich um Haptik, die mir konkret fehlt.

Privat für Sie, welchen Stellenwert hat Digitalisierung da? Gibt’s auch eine Tendenz hin zum Analogen?
Veränderung im privaten Bereich nehme ich vor allem innerhalb der Familie war. In den letzten Jahren habe ich beobachtet, wie Digitalisierung das Leben von Menschen beeinflusst oder verändert, die bisher überhaupt nichts mit Technik am Hut hatten. Konkret erlebe ich das bei meiner Tochter, oder aber bei meinen Eltern: Mit welcher Selbstverständlichkeit sie auf digitale Ressourcen zugreifen, wobei ihr das gar nicht bewusst ist. Sie weiß einfach nicht, wie ein Index-Katalog einer Bibliothek funktioniert, weil diese Wissen heute nicht mehr nötig ist. Wir haben einfach ein Suchfeld, in dem wir eine Frage eingeben und hoffen, dass die richtige Antwort geliefert wird, oder zumindest etwas Brauchbares. Das Beschaffen von Informationen und der Umgang mit Informationen hat sich also verändert.

Der zweite Aspekt, der sich in den letzten fünf Jahren für mich persönlich massiv verändert hat, ist der Medienkonsum. Vor zehn oder 15 Jahren, war es noch so, dass ich Bücher, Musik-CDs oder Filme auf DVD gekauft habe. In gewisser Weise stand das Kaufen und Besitzen, das heißt das Sammel im Vordergrund. Jetzt merke ich, auch an mir selbst, dass mir das Besitzen nicht mehr wichtig ist, sondern das Erlebnis, etwas zu lesen, zu sehen oder zu erleben. Das reicht völlig aus. Ich muss es nicht physisch zuhause stehen haben. Das hat Zeit gebraucht und jetzt ist es mir wirklich nicht mehr wichtig. Da merke ich für mich, dass Medienkonsum früher in hohem Maße mit physischen Dingen verbunden war, jetzt das Physische aber ganz klar verliert und digitale Assets für mich okay sind.

Einen anderen Aspekt der Digitalisierung erlebe ich bei Fotos. Ich mache mir als Privatperson Gedanken darüber, wie Datenträger und digitale Formate über die Jahre lesbar bleiben, wie sie sich entwickeln, um nicht eines Tages meine digitalen Erinnerungen zu verlieren, weil eine Hard-Disc ihre Funktion einstellt oder das Bildformat meiner Fotos nicht mehr anzeigbar ist.

In diesem Bereich erlebe ich, wie die Digitalisierung neu Aspekte in Bereiche bringt, über die ich mir früher keine Gedanken gemacht habe. Fotos waren einfach da, eingeklebt ins Fotoalbum, das man aus dem Kasten nimmt und durchblättert. Jetzt beschäftigen mich Fragen wie: Was passiert, wenn die Hard-Disc kaputtgeht? Was passiert, wenn mir ein Lösch-Kommando auskommt? Wo finde ich das Foto dann noch?

Von uns wird es irgendwann kein Museum geben können, keine Museumsstücke, beispielsweise Briefe und Fotos aus einer vergangenen Zeit. Das gibt es von unserer Generation vielleicht in der Form nicht mehr.
Es gibt dann vielleicht Tweets, oder Tweet-Ströme, die etwas über uns aussagen werden, wie das früher bei Briefwechseln der Fall war. Ich bin mir jedoch nicht sicher, wie man solche Datenströme bewahrt, da auf der einen Seite die Technologien so kurzlebig sind, und auf der anderen Seite auch Service-Provider verschwinden. Man weiß ja nie, ob der Service-Anbieter, den ich für meine Fotoverwaltung, mein Tagebuch oder meine Familienkommunikation ausgewählt habe, in den nächsten Jahren noch weiterbesteht, oder ob er sein Service eingestellt, von jemandem anderen gekauft wird und ob die Daten dann noch in sinnvoller Form verfügbar sind. Diese Langlebigkeit, die physischen Dingen innewohnt, die verlieren wir mit der Digitalisierung vollständig, wenn wir uns nicht darum kümmern. Aus meiner Sicht wird in diesem Bereich eine Industrie entstehen, die gesicherten Speicher irgendwo in der Wolke anbieten, damit man sich als reiner Nutzer nicht selber darum kümmern muss.

Beim Geld gibt es diesen Umstieg ja schön länger. Früher, unsere Großeltern haben vielleicht einen Sparstrumpf irgendwo gehabt. Für uns ist es aber kein Thema mehr, das Geld unter den Kopfpolster zu legen, sondern es ist selbstverständlich, dass es auf der Bank liegt.
Wir gewöhnen uns alle daran. Genau so, wie das bei Medien der Fall ist. Mir ist es nicht mehr wichtig, einen Schrank voller CDs zu haben, weil wenn die Musik auf meinem Telefon oder meinem MP3-Player verfügbar ist, dann ist das fein. Das ist ein Aspekt, aber die Haltbarkeit, so wie Sie schon gesagt haben, dieses „Was bleibt von uns?“, das wird einmal ganz anders werden.

Aber eigentlich ist es ja auch etwas Positives. Wir gehen weg von diesem Hamstern, diesem Habenwollen, von diesem Besitzanspruch und gehen mehr ins Teilen, ins Kollaborative: Sharen, Liken. Es schafft auch mehr Offenheit, oder?
Im privaten Bereich bin mir nicht sicher, ob das gut oder schlecht ist, denn ich bin aus einer Generation, in der es sowas wie Privatsphäre noch gegeben hat.

Ich werde vorsichtig, wenn ich mir anschaue, was Leute über sozialen Medien sharen, wahrscheinlich im Glauben, dass es private Räume gibt. Diese Privatsphäre ist aus meiner Sicht durch die Möglichkeit, alles kopieren und verlustfrei in anderer Kanäle replizieren zu können, etwas trügerisch. Ich will nicht den Teufel an die Wand malen, ich glaube nur einfach, das ist ein sehr junges Feld und wir müssen alle erst lernen, damit umzugehen. Vor allem, was wir von den Service-Anbietern als Benutzer aktiv einfordern, bevor wir ihnen unsere Informationen anvertrauen. Nach dem Motto: „Ich gebe dir meine Daten nur dann, wenn du mir entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen garantierst.“ Ich denke, man muss sich in diesem Bereich als Konsument emanzipieren.

Ich hab das Gefühl, dass erst seit einiger Zeit begonnen wird darüber zu reflektieren, was dieses Bereitstellen von Information bedeutet, und klarer hinterfragt wird, wie Information in der Folge verwendet wird.

Auf der anderen Site finde ich extrem positiv, welche Informationsquellen dieser Austausch eröffnet. Wissen und vor allem Erfahrungen sind jetzt verfügbar, die ohne diese Möglichkeiten nur viel kleineren Gruppen zugänglich wären. Ohne diese Möglichkeiten würde man von vielen Dingen nicht einmal wissen, dass sie existieren oder, dass jemand so komplett anders denkt. Das ist für mich die total positive Seite.

Ich denke, wir müssen einfach aktiv mit den neuen Möglichkeiten umgehen lernen.

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